Beelitz Heilstätten – Wenn die Motten kommen
Nur wenige „Lost Places“ haben eine vergleichbare Bekanntheit wie die Beelitzer Heilstätten erlangt. Verschiedene Mythen und Geschichten lockten bereits eine Vielzahl an Entdeckern und Abenteurern in die Gebäude der ehemaligen Lungenheilanstalt, die sich heute bereits zu einem touristischen Hotspot der Region entwickelt hat. Die Geschichte dieser Einrichtung, ist ebenso faszinierend, wie die einzigartige Ausstrahlung der verbleibenden Ruinen.

Beginnen wir unsere Reise im Berlin des späten 19. Jahrhunderts. Die Stadt wächst üppig und es herrscht eine akute Wohnungsnot. Eine Vielzahl der Berliner wohnt in kleinen Hinterhofwohnungen, welche oftmals stark überbelegt waren. Zwischen 6 und 12 Personen pro Zimmer waren oftmals keine Seltenheit. Zudem wurden die Betten während der Tageszeit häufig von fremden Nachtschichtlern, sogenannten „Schlafgängern“ belegt. Die Wohnungen waren feucht, rußig und teilweise sogar von Schimmel befallen. In Verbindung mit akuter Mangelernährung wurde der Körper anfällig für eine Bandbreite an Krankheiten.
Unglücklicherweise breitete sich zu dieser Zeit auch das Tuberkulosevirus aus. Die Infektion führte zu schweren, unheilbaren Erkrankungen und wurde im Volksmund auch als „Schwindsucht“ bezeichnet. Bei schlimmen Fällen sagte man, die Person wäre an „den Motten“ erkrankt“, da die Lunge regelrecht wie durch Motten durchlöchert wurde. Die Ursache der Erkrankung war jedoch lange Zeit unklar, bis Robert Koch im Jahr 1882 das Tuberkelbacillus als Erreger entdeckte. Durch seine Forschungen stellte er zudem fest, dass sich das Virus über die Luft verbreitet und die widrigen Lebensbedingungen eine Infektion stark begünstigen. Teilweise, so sagt man, sei zeitweise jeder dritte Berliner an der Tuberkulose verstorben.

Im Jahre 1885 fasste man daher einen Beschluss zur Errichtung verschiedener Lungenheilstätten zur Bekämpfung der Erkrankung. Letztendlich gab es über 60 verschiedene Lungenheilstätten in Deutschland. Die Beelitzer Heilstätten wurden in mehreren Bauetappen zwischen 1898 und 1944 erbaut und umfassen ein zwei Millionen Quadratmeter großes Areal inmitten eines Kiefernwaldes. Und dieser Standort wurde nicht unachtsam gewählt, denn zur Therapie der Erkrankten zählten intensive Frischluftkuren. Andere Lungenheilstätten befanden sich daher unter anderem an der Küste oder im Gebirge. Die Einrichtung in Beelitz jedoch, war die größte Einrichtung in ganz Deutschland. Mit einer Kapazität von 1200 Gästen und 500 Angestellten verfügte sie sogar über höchst moderne Einrichtungen und Techniken. Jedem Gast standen 38m³ Luftraum zur Verfügung. Teilweise wurde frische Waldluft angesaugt und in die Zimmer geleitet. Eine von einem Heizhaus ausgehende Fernwärmeversorgung garantierte angenehme Temperaturen in den Zimmern und im Bereich der hydrothermalen Therapie (Badetherapie). Auf dem Gelände wurde sogar ein eigenes Mineralwasser produziert!

Da die Klinik strikt zwischen den Geschlechtern getrennt war, behalf man sich zudem unterschiedlicher Farben für die Anstriche, um unterschiedliche psychologische Wirkungen zu erzielen. Die Fliesen waren zwecks der Hygiene an den Kanten alle abgerundet – eine exklusive Ware von Villeroy und Boch. Auch die Berufe waren strikt nach den Geschlechtern getrennt. Während die Männer die Ärzte stellten und das Maschinenhaus und die Werkstätten am laufen hielten, arbeiteten die Frauen in der Küche, in der Waschküche oder als Schwester.

Auf Grund der Geschlechtertrennung bestehen die Beelitzer Heilstätten insgesamt aus 4 Arealen – zwei Lungenheilstätten und zwei Sanatorien – jeweils konzipiert nach dem Konzept der kurzen Wege. Diese waren zum Teil auch erforderlich, da die täglich verpflichtenden, sechs- bis zwölfstündigen Liegekuren teilweise auch im Winter bei -12°C durchgeführt werden musste – und das an bis zu 90 aufeinanderfolgenden Tagen! Erst mit dem Bau der Chirurgie zwischen 1928 und 1930 lockerte sich die Geschlechtertrennung.

Neben umfänglichen Frischluft- und Badetherapien, zählte eine besonders nahrhafte Ernährung zu den Heilmethoden der Beelitzer Lungenheilstätten. In diesem Zusammenhang verwundert es nicht, dass teilweise bis zu fünf Mahlzeiten am Tag serviert wurden. Neben zwei aufeinanderfolgenden Frühstücken folgte ein Mittagsangebot, ein Nachmittagsangebot und ein Abendbrot. Das Essen war stets sehr reichhaltig, mit dem Ziel die Patienten auf Grund ihrer schlechten Ausgangslebenslage körperlich etwas zu ertüchtigen.
Das ganze Gelände war gärtnerisch zudem aufwändig gestaltet worden. Zuständig war der königliche Gartenbaudirektor Karl Koopmann, der auf dem Gelände auch eine Gärtnerei mit Eigenanzucht inklusive Obst- und Gemüseplantagen betrieb. Kiefernpflanzungen und Farne ergänzten die bestehende Vegetation, während Rhododendren, Azaleen und Blühsträucher für ein kontrastreiches Blütenbild sorgten. Die sogenannten Beelitzer Alpen entstanden seinerseits durch die Ablagerung von Aushub, welcher beim Bau der Pavillons für die Liegekuren aufkam. Dieser wurde planiert und mit Kiefern bepflanzt, wodurch sich letztlich auch der Name ergab. Da beim Bau des Frauenhauses anschließend wieder etwa 6000m³ Erdreich entnommen wurden, entstand an gleicher Stelle auch eine Art Schlucht.

Während des ersten Weltkrieges wurden die Heilstätten vom Roten Kreuz als Lazarett genutzt. Zu dieser Zeit – zwischen Oktober und Dezember 1916 – befand sich auch Adolf Hitler in den Beelitzer Heilstätten. Allerdings wurde Hitler nicht die Lunge, sondern ein Granatsplitter im Oberschenkel behandelt.
Im Jahr 1930 eröffnete das bekannte Chirurgiegebäude der Heilstätten. Neben einem eigenem Röntgenzentrum und einem Labor, beherbergte es zudem eine Zentralapotheke für das Gelände. Die Verlegung der Leitungen erfolgte hier erstmals „Unterputz“, für bessere Hygienebedingungen. Eine moderne Lichtsignalanlage ermöglichte das Rufen der Schwestern aus den einzelnen Zimmern. Diese waren nun auch alle mit eigenen Waschbecken und einem Balkonzugang ausgestattet.

Während des zweiten Weltkrieges und der Schlacht um Berlin kam es in der Region um Beelitz zu erbitterten Kämpfen, bei denen auch die Beelitzer Heilstätten mehrfaches Angriffsziel der Sowjets darstellten. Die Heilstätten wurden mehrfach erobert und zurück erobert. Bei diesen Kämpfen wurden einige der Gebäude stark beschädigt und anschließend nicht wieder genutzt. Das sogenannte Alpenhaus beherbergt heute einen immensen Dachwald und stellt daher ein einzigartiges Biotop dar.

Nach dem zweiten Weltkrieg dienten die Beelitzer Heilstätte lange Zeit als sowjetisches Militärkrankenhaus. Vor der Chirurgie entstand ein Hubschrauberlandeplatz, einige der Räumlichkeiten wurden zu Cafés, Theatern, Kinos oder Poststellen umgenutzt. Bereits ab ca. 1943 wurden die meisten Lungenheilstätten auf Grund des verbreiteten Aufkommens verschiedener Untersuchungsstellen obsolet. Die Funktion der Therapien und die Bedeutung der Lungenheilstätten ist bis heutige zudem nicht eindeutig wissenschaftlich belegt und teilweise umstritten. Es folgten daher andere medizinische Nutzungen.

Im Jahr 1990 erhielten die Beelitzer Heilstätten schließlich einen weiteren bekannten Gast: Erich Honeker, der zwei Zimmer in der Chefarzt Villa auf dem Gelände bezog, bevor er im Jahr 1991 schließlich nach Moskau flüchtete. Erst im Jahr 1994 wurde das Gelände vollständig vom russischen Militär geräumt. Viele der insgesamt 60 Gebäude sind seither stark sanierungsbedürftig. Seit 1996 gelten die Beelitzer Heilstätten daher als Bau- und Flächendenkmal. Seit den 2000er Jahren gab es verschiedene Eigentümer und Entwicklungspläne. Heute wird das Gelände zum Teil wieder für medizinische Zwecke genutzt. Darüber hinaus entstand Wohnraum in verschiedenen Formen. Durch den Baumkronenpfad „Baum & Zeit“ mit einem 40 Meter hohem Aussichtsturm und einem Angebot aus verschiedenen geführten Touren, wuchsen die Beelitzer Heilstätten zudem zu einem wichtigem Anlaufpunkt für den Tourismus heran, der jährlich mittlerweile etwa 200.000 Besucher anzieht.

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Literatur und Quellenangaben
BÖTTGER, ANDREAS; JÜTTEMANN, ANDREAS; KRAUSE, IRENE (2025): Beelitz-Heilstätten – Vom Sanatorium zum Ausflugsziel. 6. Auflage. Geschichts- und Erinnerungsorte, Orte der Geschichte e.V., Berlin.
MIELZARJEWICZ, MARC; HEYDECKE, MARTIN; MEINEL, MARIA (2010): Lost Places – Beelitz-Heilstätten. 3. Auflage. Mitteldeutscher Verlag.
URBACH, CORINNA; VOLPERT CHRISTINE (2022): Lost & Dark Places – Berlin und Brandenburg – 33 vergessene, verlassene und unheimliche Orte. Bruckmann Verlag GmbH.

