Museumspark Rüdersdorf – Der Staub und die Kathedrale des Kalks
Nicht unweit vom östlichen Stadtrand Berlins befindet sich mit dem Museumspark Rüdersdorf ein einzigartiger Ort, der Geschichte, Wissenschaft und zukunftsweisende Forschung besonders erlebbar miteinander verbindet. Der im Ort befindliche, noch aktive Tagebau zur Gewinnung von Kalkstein hat die Baustoffhistorie der Region entscheidend geprägt und letztlich dazu beigetragen, dass das heutige Berlin entstehen konnte.

Nahezu wie mittelalterliche Festungen wirken die oft als „Rüdersdorfer Öfen“ bezeichneten, massiven Bauten, die einst zum Brennen von Kalkstein dienten. Bei Temperaturen von 900°C wurde der Kalkstein in aufwändigen Verfahren „gebrannt“, um daraus Branntkalk zu gewinnen. Doch wozu diente dieser Prozess der Maloche?
Um die Notwendigkeit des Kalkbrennens zu verstehen, muss man sich auf eine Reise in die Geschichte der Baustoffe begeben. Bevor man langfristig beständige Gebäudestrukturen errichten konnte, baute man vor allem mit vorhandenen Naturmaterialien wie Holz, Lehm und Leder. Hütten und Häuser aus Holz stellten die ersten festen Bauten dar, boten vor allem jedoch den Nachteil, dass diese nicht feuerfest waren und daher gerade in dicht bebauten Siedlungen nicht selten großflächige Feuer ausbrachen, die ganze Orte vernichteten.

Mit dem Aufkommen der ersten Städte verlagerte sich der Baustoffbedarf von Holz zu feuerfesten Baustoffen wie Ziegel und Gesteinen. Allerdings bieten diese Baustoffe den Nachteil, dass sie durch spezifische Bindemittel zusammen gehalten werden müssen. Heute verwenden wir dafür Zement, früher verwendete man für diesen Zweck den sogenannten Kalkmörtel. Um Kalkmörtel herzustellen, benötigt man allerdings Branntkalk als Ausgangsstoff. Und genau diesen stellte man noch bis 2024 in Rüdersdorf her! Doch wie kam es dazu?
Etwa im Jahre 1250 wiesen die Zisterziensermönche ihren Bauern in Rüdersdorf Ländereien zu. Doch als diese begannen, die Felder zu bewirtschaften, stießen sie im wahrsten Sinne des Wortes auf steinige Bedingungen. Denn auf den Feldern fanden sich eine Vielzahl an unbequemen Kalksteinen. Natürlich beschwerten sich die Bauern bei ihren Landherren, doch wurde ihre Beschwerde schnell abgewiesen. Die Mönche erkannten den Wert des Kalksteines sofort und begannen damit, die ersten Brüche einzurichten.

Zunächst wurde der Stein lediglich als „Werkstein“ zum Bauen verwendet. Viele der Gebäude im Museumspark bestehen aus diesem Gestein, aber auch bekannte Gebäude wie das Brandenburger Tor, das Berliner Olympiastadion, der ehemalige Flughafen Berlin Tempelhof oder das Schloss Sans Soucis in Potsdam wurden unter Verwendung von Rüdersdorfer Kalkstein errichtet. Der Transport erfolgte per sogenannten Treidelkähnen oder Finow-Kähnen (unmotorisiert) über den Wasserweg.
Erst im Jahr 1555 wurde der erste Kammerofen zum Brennen des Kalksteins in Rüdersdorf errichtet. Ein weiterer Kammerofen von 1666 ist noch heute im Museumspark zu besichtigen. Doch der Prozess war aufwändig und langwierig. Bis zu acht oder neun Tage dauerte ein Branntvorgang, der kontinuierlich aufrecht erhalten werden musste. Doch was genau passiert bei diesem Vorgang?

Bei Kalkstein handelt es sich um Calciumcarbonat (CaCO3). Unter Hitze gast das CO2 aus und hinterlässt den sogenannten Branntkalk (CaO). Wird dieser mit Wasser „gelöscht“ entsteht zunächst eine ätzende Flüssigkeit, die Kalkmilch (Ca(OH)2). Mit Sand und weiteren Zuschlagsstoffen ergibt diese Mischung wiederum den Kalkmörtel, der unter Aufnahme von CO2 aus der Luft wieder das enthaltene Wasser abgibt und somit aushärtet. Ein Bindemittel für Gesteine entsteht.
Alleine zwei Tage dauerte das Befüllen und Entleeren des Ofens. Fünf bis sechs Tage dauerte der Brannt. Zunächst verwendete man Holz, als dieses knapp wurde, beutete man die Moore aus und stieg auf Torf um. Doch ein wesentlicher Nachteil blieb: Durch die Methodik des Brennens kam der Branntkalk mit Asche in Kontakt und war stets unrein. Eine neue Methode musste her.

Erst im Jahr 1801 konnte man das Problem der Unreinheit des Branntkalks beseitigen. Allerdings nicht aus eigener Leistung, sondern vermutlich auf Grund von Industriespionage! Denn die Pläne des Ofens, so viel ist sicher, stammen aus England, vom Grafen von Rumford – Benjamin Thompson. Durch die Einführung eines separaten Ascherostes konnte das Problem mit einem einfachen baulichen Trick behoben werden.
Die Arbeit in den Öfen war hart und widrigen Bedingungen ausgesetzt. Eine Schicht dauerte zwölf Stunden. Gearbeitet wurde Tag und Nacht, das ganze Jahr über. Der fertige Branntkalk wurde mir Resttemperaturen von 600°C aus den Öfen geholt. Durch die heißen, feuchten Bedingungen reagierte der Branntkalk oftmals ätzend. Verschiedene Krankheiten folgten dem ständigen Kontakt mit dem boomenden Baustoff. In Folge dessen sank die Lebenserwartung der Arbeiter auf schlappe 40-45 Jahre.

Doch der Baustoffbedarf stieg weiter. Berlin wollte wachsen wie ein hungriges Raubtier und dafür musste der notwendige Baustoff produziert werden. Nicht umsonst behauptet man heute, der Kalk wäre der Stoff, auf dem Berlin erbaut wurde! 1850 entstand Deutschlands erste Zementfabrik. Zwischen den Jahren 1871 und 1876 baute man die sogenannte Schachtofenbatterie als Aneinanderreihung von 18 einzelnen Rumfordöfen, die über eine einzige Gebäudehülle – die sogenannte Kathedrale des Kalks – miteinander verbunden sind. Auch hier wurde Branntkalk produziert.
Der Abtransport erfolgte fortan mit der Bahn, allerdings blieben die Arbeitsbedingungen nicht weniger widrig und schwer. Zur Zeit des Nationalsozialismus benötigte man den Baustoff für den Bau von Autobahnen und Bunkern. Weitere Zement- und Betonwerke entstanden. Zur Zeit der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) benötige man den Baustoff für das massive Wohnungsbauprogramm. Auch hier war die Schachtofenbatterie weiter in Betrieb und sorgte mit ihrem immensen Ausstoß schließlich dafür, dass Rüdersdorf zum staubbelastetesten Ort der DDR wurde! Ältere Anwohner berichten, dass man die Wäsche stets nur bei Westwind zum Trocknen im Freien aufhängen konnte, ohne eine Staubschicht zu riskieren. Die Schachtofenbatterie war noch bis Mitte der 1960er Jahre in Betrieb, bevor sie mit moderneren Produktionsverfahren abgelöst wurde. Bereits 1905 entstand auf dem Gelände auch ein Kalkofen nach dem Ringofenprinzip. Zwar überstieg dieser die Kapazität der Schachtofenbatterie bereits in den Anfangsjahren, jedoch wurde er bereits im Jahr 1959 stillgelegt und abgerissen.

Moderne Zemente werden zumeist in sogenannten Drehrohröfen produziert, wo der Kalkstein bei über 1400°C verklinkert wird. Anschließend wird er mit Sand, Kies und Wasser vermengt, um daraus Beton zu produzieren. 90% des im Rüdersdorfer Tagebau abgebauten und zu Zement verarbeiteten Kalksteins verlassen das Werk umgehend auf die jeweiligen Baustellen! Nahezu das gesamte Produktionsaufkommen wird also unmittelbar benötigt und verbraucht – eine wahnsinnige Wertschöpfung.

Zwar zählt die Produktion von Zement und Beton zu den CO2 reichsten Produktionen unserer modernen Gesellschaft, allerdings wird das gesamte Material einerseits sofort benötigt, andererseits leisten die Hersteller auch eine Vielzahl an Maßnahmen zum fortlaufenden Ausbau der Umweltverträglichkeit. In Rüdersdorf etwa, wurden Fledermausquartiere geschaffen, seltene Pflanzenarten für den Erhalt umgesiedelt, Habitate rekultiviert, Wanderwege angelegt und gepflegt und vielleicht, so sagt man, soll nach dem Tagebau einmal ein großer See folgen.

Der Museumspark bietet eine Vielzahl an verschiedenen Angeboten. Im Otto Torell Haus kann man die geologische Entstehung des Ortes bewundern. Benannt wurde das Gebäude nach dem schwedischen Forscher, der im Rüdersdorfer Tagebau die Inlandseistheorie nachwies!
Bei einer Fossiliensuche hat man die Möglichkeit eigene Fossilien auf einer abgegrenzten Fläche im Tagebau zu suchen, allerdings muss diese rechtzeitig im Voraus gebucht werden. Verschiedene Führungen und Touren ergänzen das Angebot um die zahlreichen beeindruckenden Eindrücke der vorhandenen Industriedenkmäler.
Vom einstigen staubbelastetesten Ort der DDR ist heutzutage bis auf die verbliebenen Baudenkmäler auf jeden Fall nichts mehr zu sehen. Rüdersdorf hat sich trotz oder vor allem wegen der Baustoffindustrie zu einer regelrechten grünen Idylle entwickelt, deren Einzigartigkeit noch über lange Zeit behutsam gewahrt werden sollte.
Auf der Suche nach weiteren Abenteuern?
In der Kategorie „Abenteuer“ findest du weitere spannende Beiträge und Anregungen.
Hinweis!
Die Fotos und Abbildungen dieses Beitrages sind urheberrechtlich geschützt! Jegliche Verwendung ist genehmigungspflichtig!
Literatur und Quellenangaben
HAMELAU, K.; KÖHLER, E.; STREICHAN, H. J. (1995): Museumspark Baustoffindustrie Rüdersdorf. Förderverein der Baustoffindustrie Rüdersdorf e.V.
KÖHLER, EVA, KIENITZ, REINHARD (1994): Rüdersdorf – Die Kalkhauptstadt am Rande Berlins. Stapp Verlag, Berlin.
RÜDERSDORFER ZEMENT GmbH (2004): 750 Jahre Kalksteinbergbau in Rüdersdorf.
SCHROEDER, J. H. (2015): Rüdersdorf bei Berlin – Der Kalkstein-Tagebau: Geo-Glanz-Punkt in Brandenburg. Selbstverlag der Geowissenschaftler in Berlin und Brandenburg. e.V.

