Steckbrief - Pinguicula spec.

Licht:
hell, aber halbschattig.
Wasserbedarf:
gering. relativ kalktolerant.
Luftfeuchtigkeit:
niedrig - leicht erhöht.
Substrat:
mineralische Substrate.
bei einigen temperierten Arten ist teils Kalk als Zuschlag nötig.
Winterruhe:
Ja - teils, heterophylle Arten aus Mexico in den Wintermonaten trocken und kühl (5-10°C) halten. Temperierte Arten im Freiland oder bei 0-5°C leicht feucht kultivieren.


1. Fettkräuter (
Pinguicula spec.) – Vorkommen und Historie

Zur zusätzlichen Bekämpfung von Trauermücken und Schnaken eignen sich durch ihre mit klebrigem Sekret besetzen Blätter vor allem verschiedene Fettkräuter.
Die Hauptzahl der Arten stammt aus Mexico und dem Süden der USA, weitere Vorkommen existieren punktuell jedoch weltweit. In Europa findet man unter anderem die Arten P. vulgaris, P. grandiflora, P. alpina und P. hirtiflora, meist an schattigeren Stellen torfig-sandiger Erhöhungen oder teils (fast) lithophytisch an Felshängen wachsend. Durch die natürlich bedingte Toleranz gegenüber einem verhältnismäßig geringen Lichtbedarf, eignen sich Fettkräuter auch besonders für die Fensterbankkultur.

Bereits im 19. Jahrhundert beschäftigten sich, angestoßen durch die zahlreichen Experimente Charles Darwin’s und die relativ einfachen Haltungsbedingungen der Fettkräuter, etliche Wissenschaftler mit dieser faszinierenden Gattung. Darwins Theorien, die Pflanzen würden die Insekten über die Ausscheidungen von Sekret verdauen und sich an der gewonnen Lösung nähren, fand jedoch nicht nur Anklang. Im Magazin „The Gardeners Chronicle“ von 1875 wurde Darwin sogar mit einem sarkastischen Gedicht verspottet [1].

Doch nicht nur Darwin war von den einzigartigen Pflanzen fasziniert. MORREN kultivierte 1875 einige Exemplare von P. alpina und P. longifolia, isolierte gefangene Fliegen und untersuchte sie anschließend unter dem Mikroskop. Bei genauerer Betrachtung konnte er so zahlreiche Bakterien und ein umschließendes pilzliches Mycel erkennen. Eine anschließende Untersuchung des Sekrets zeigte ähnliche Organismen, weshalb er schließlich folgerte, die Zersetzung der Insekten beruhe lediglich auf den im Sekret vorhandenen Kleinstlebewesen. MORREN’s Beobachtungen konnten bei weiterer Sekret-Untersuchung von TISCHUTKIN 1889 bestätigt werden. [2]
Weitere, peniblere Untersuchungen von GOEBEL ergaben 1891 jedoch das Gegenteil und bestätigen die Karnivorie von Pinguicula, womit die Theorie von Charles Darwin endgültig bestätigt wurde: Durch die Absonderung eines antiseptischen Stoffes im Sekret wird Fäulnis und Bakterienbefall der Beute verhindert. Bei zu großem Fang versagt diese Methode jedoch, weshalb Fettkräuter auf kleine Insekten als Beute angewiesen sind. [2]
Modernere Untersuchungen ergaben zudem, dass sich einige Fettkrautarten zusätzlich zu ihrer tierischen Beute auch mit Pollen verschiedener Pflanzen ernähren, der durch den Wind auf den klebrigen Blättern verklebt. So fand man in einer Studie sogar heraus, dass die effektiv genutzte Beute von P. vulgaris sogar bis zu 50% aus Pollen bestehen kann (Karlsson et al. 1994). [1]

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Pinguicula x ‚Tina‘ in Blüte

2. Pinguicula pflegen
2.1 Bewässerung, Temperatur & Winterruhe

Während die Pflanzen im Sommer stets leicht feucht gehalten werden sollten und ein leichter Anstau bei guter Luftzirkulation möglich ist, sollte die Bewässerung im Winter bei heterophyllen Arten aus Mexico während der Ruheperiode zurückgestellt werden und das Substrat antrocknen. Denn heterophylle Arten begeben sich, im Gegensatz zu homophyllen Arten, in den Wintermonaten bei sinkender Temperatur und Belichtungszeit in eine Winterruhe, bei der der Wasserbedarf entsprechend sinkt und bei mexikanischen Arten oftmals mit dem von Kakteen zu vergleichen ist. Bei kühleren Temperaturen (um die 5°C) kann die Bewässerung im Winter sogar fast gänzlich ausgesetzt werden. Vorbereitend auf diese Bedingungen bilden sich ab Herbst an den Pflanzen nur noch kleine Blätter, meist in Form einer kompakten Rosette, die keine karnivore Funktionen mehr erfüllen und der Pflanze nur zum Überdauern bis zur nächsten Wachstumsperiode dienen. Die sogenannten temperierten Arten wie P. vulgaris und P. grandiflora, welche hauptsächlich in Europa vorkommen, ziehen sich mit Beginn der Wintermonate (meist bereits im späten Herbst) oder bei zu warmen Temperaturen jedoch in eine Art unterirdische Zwiebel zurück, an derer Basis sich in der Folgesaison zahlreiche kleine Tocherpflanzen zur Vermehrung bilden. Solche Arten lassen sich auch in Deutschland hervorragend im Freiland (im Moorbeet) oder alternativ auch im beheizten Gewächshaus bei 0-5°C kultivieren, sollten im Gegensatz zu ihren mexikanischen Schwestern jedoch auch über die Wintersaison leicht feucht gehalten werden. Da die meisten mexikanischen Arten auf Granitfels oder Kalkstein wachsen, können sie auch problemlos mit kalkhaltigem Leitungswasser gegossen werden. Auch die meisten temperierten Pinguicula Arten vertragen eine Bewässerung mit kalkhaltigem Gießwasser ohne Probleme.

Abhängig von der Wuchsform, unterscheidet man bei den Fettkräutern fünf verschiedene Gruppen:

  • temperiert heterophylle Arten – 2 Blattformen, aus kälteren (v.a. nördlichen) Regionen (teilweise bis -20°C+), Ruhephase im Winter
  • tropisch heterophylle Arten – 2 Blattformen, aus wärmeren Regionen (bis ~5-10°C), Trockenphase im Winter
  • einjährig homophylle Arten – 1 Blattform, sterben meist zu Jahresende ab, Vermehrung durch v.a. durch Samen
  • ausdauernd homophylle Arten – 1 Blattform, zwei- oder mehrjähriger Wuchs, Vermehrung durch v.a. durch Samen, ganzjärig feucht halten. (bis ~5-10°C+)
  • anisophyle Arten – 3 Blattformen, die aus der Winterrosette entstehenden ersten karnivoren Blätter unterscheiden sich von den karnivoren Blättern die in der Hauptsaison gebildet werden, Ruhephase im Winter (teilweise bis -20°C+)

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Besonders schön wirken die Blüten der Fettkräuter, wenn sie in Gruppen von mehreren Pflanzen gepflanzt werden.
2.2 Licht

Obwohl Pinguicula im Vergleich zu anderen Karnivoren relativ wenig Licht benötigen, ist ein ausreichendes Lichtangebot obligatorisch. Für eine gute Ausfärbung benötigen Pinguicula eine Gesamtlichtmenge von etwa 15 Mol pro Tag. Dies entspricht etwa 250-300 µMol PPFD Belichtungsstärke auf Pflanzenhöhe bei 13h Belichtungszeit. Mindestens sollten 10 Mol am Tag oder 200 µMol PPFD bei 12h Belichtungszeit garantiert werden. Die Kultur am Südfenster ist durchaus möglich, allerdings erfordert sie in den Wintermonaten entsprechende Zusatzbelichtung. Besser gestaltet sich die Kultur unter Kunstlicht in Regalen oder im schattierten Gewächshaus.

2.3 Blütenaufbau und Vermehrung

Die zahlreichen malerischen Blüten bieten mit ihrer Vielfalt an Farben und Formen nicht nur einen Hingucker für das Auge, sondern dienen bei reinen Arten auch für die Kreuzung von Hybriden. Durch den äußerst filigranen Blütenaufbau und den abzupassenden Zeitpunkt der Reife des Pollens und der Aufnahmefähigkeit der Narbe gestaltet sich der Bestäubungsvorgang jedoch manchmal recht schwierig. Für ein Erfolgserlebnis sind sicherlich mehrere Versuche notwendig, um die richtige Technik zu erlangen.
Die besten Ergebnisse der Samenproduktion erzielen einige einjährige und vor allem in Europa heimische Fettkrautarten. Ein Vorteil dieser Arten ist, dass die Blüten sich meist selbstbestäuben und sortenreine Samen abwerfen, so lange sie nicht durch äußere Einflüsse mit anderen Pflanzen der Kultur gekreuzt wurden. Einfacher gestaltet sich die Vermehrung über Blattstecklinge. Diese Methode scheint jedoch fast ausschließlich bei mexikanischen Fettkräutern Erfolg zu bieten. Hierfür werden untere, am Boden anliegende Blätter vorsichtig mitsamt der weißen Blattbasis gelöst und auf leicht feuchtes, mineralisches Substrat (wie Vermiculit) gelegt und anschließend in eine schattige Ecke gestellt. Nach einigen Wochen entwickeln sich an der Blattbasis nun zahlreiche Zellhaufen, die zu mehreren Jungpflanzen heranwachsen und später vereinzelt werden können.

Pinguicula Blütenaufbau 1/2
(1/2) Blütenaufbau von Pinguicula: Durch den filigranen Aufbau ist die Bestäubung recht schwierig

Pinguicula Blütenaufbau 2/2
(2/2) Blütenaufbau von Pinguicula: Durch den filigranen Aufbau ist die Bestäubung recht schwierig

2.4 Substrat

Die Ansprüche an das Substrat unterscheiden sich je nach Art. Für die meisten mexikanischen Fettkräuter und Hybriden empfehlen sich stark torfreduzierte, mineralische Substrate mit einem Gemisch aus Lava & Bims (50:50), Seramis, Perliten, Vermiculiten und etwas Sand im Verhältnis von etwa 4:1:1:1:1. Einige Züchter berichten auch von guten Erfahrungen mit reinem Vermiculit als Substrat. Die Kultur auf reinen Lava-, Gips, oder Spaghettisteinen liefert ebenfalls äußerst zufriedenstellende Ergebnisse. Bei dieser Methode sollten die Steine etwa ein bis zwei Mal die Woche besprüht werden. Da die meisten mexikanischen Arten auf Granitfels oder Kalkstein wachsen, können sie auch problemlos mit kalkhaltigem Leitungswasser gegossen werden.

Temperierte Arten sollten in torfhaltigen Substraten gehalten werden (z.B.: Torf, Sand, Perlite (3:1:1)). Eine Beimischung von Kalk bei einigen Exemplaren durchaus möglich und bei einigen Arten wie P. vallisneriifolia für ein optimales Wachstum sogar obligatorisch. Ein kleiner Anteil an Kakteenerde bevorratet das Substrat mit einem dezenten Nährstoffanteil. Dieser sollte jedoch nicht zu hoch ausfallen, da die Pflanzen sonst zwar beachtliche Größen erreichen, sich jedoch nicht mehr so intensiv ausfärben. Durch die großräumige Verbreitung gestalten sich die Anforderungen an das Substrat bei temperierten Fettkräutern jedoch stark nach Herkunft und Habitat der Pflanzen und können sich teilweise stärker voneinander unterscheiden. Wir empfehlen daher vor der Kultur spezieller oder seltener Arten noch einmal artspezifische Informationen einzuholen (zB. auf www.pinguicula.org oder www.gluch.info/pingu3.htm). Für detaillierte Einblicke zu unseren Erfahrungen zu verschiedenen Substraten für Fettkräuter, empfehlen wir an dieser Stelle auch gerne unseren spezifischen Beitrag.

Winterharte Fettkräuter wie Pinguicula grandiflora bilden über den Winter zwiebelartige Hibernakula

Pinguicula colimensis x gypsicola (Winter-Rosette)
Pinguicula colimensis x gypsicola (Winter-Rosette)
pinguicula-anisophyll
Anisophylle Arten wie Pinguicula vallisneriifolia bilden über das Jahr hinweg verschiedene Blattformen aus.
Traditionelle Verwendung [1]

Trotz ihrer recht seltenen Vorkommen ist auch bei Fettkräutern eine traditionelle Nutzung bekannt, die weit über den Wert als Zierpflanze hinaus reicht.
Im 16. bis 17. Jahrhundert nutzte man die Pflanzen zwar auch um Tierherden und Menschen vor bösen Geistern, Feen und Hexen zu schützen, allerdings schien man sich auch bereits der antiseptischen Wirkung des Sekrets bewusst zu sein, da man es bereits zu jenen Zeiten auf Wunden von Haus- und Nutzvieh aufstrich, um die Wundheilung zu fördern. Darüber hinaus sollen die frisch gesammelten (und von Verunreinigungen befreiten) Blätter der in Europa heimischen Art Pinguicula vulgaris oft mit warmer Milch übergossen worden sein, die anschließend nach ein bis zwei Tagen Ruhezeit durch bakterielle und enzymatische Vorgänge aus dem Fettkraut-Schleim säuerlich wurde und eine cremige, joghurtartige Konsistenz bildete. Das als nahrhaft angesehene Getränk ist vor allem und teils noch heute in nördlichen Ländern bekannt, jedoch unterscheiden sich die Bezeichnungen regional. In Schweden ist das Milchprodukt vor allem als „Filmjölk“ oder „Tätmjölk“ bekannt, in Norwegen kennt man es unter dem Namen „Tjukkmjolk“ und in Finnland bezeichnet man die Milch als „Viili„. [1,6,7]
Im frühen 20. Jahrhundert nutzte man die Blätter und deren enzymatische Wirkung in Deutschland jedoch vor allem um Fleisch vor dem Garen zarter werden zu lassen, wozu die Fleischportionen über Nacht mit Blättern des Fettkrauts abgedeckt wurden. [1,7]
Seit den 1990er Jahren fanden zahlreiche weitere Untersuchungen des Sekrets von Pinguicula statt, die die antiseptischen und bakteriellen Aktivitäten innerhalb der Sekretproben bestätigten. Ferner konnte die Anwesenheit einiger wichtiger sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe wie Flavonoide, Carotenoide und Zimtsäure, wenn auch in geringer bioaktiver Wirkung, nachgewiesen werden. Fettkräuter haben also viel mehr zu bieten als nur niedliche Blüten.

Zusammenfassung

Substrat
- reiner Torf selten - mexikanische Arten: mineralische Substrate (Lava, Bims, Perlite, Vermiculit, Sand) - temperierte Arten: Torf-Sand-(Perlite) (3:1:(1)) - Spaghetti-Steine, Kalksteine... Bewässerung - Sommer: feucht halten, sehr leichter Anstau bei temperierten Arten möglich - Winter: temperierte Arten leicht feucht halten, mexikanische Arten in Winterruhe trocken halten und zumindest durchtrocknen lassen. Licht - halbschattig, aber hell Winterruhe - teils, bei kühler Überwinterung müssen die Pflanzen trocken gehalten werden!
Literatur

1] ROCCIA A., O. GLUCH, et al. (2016): Pinguicula of the Temperate North. Redfern Natural History Productions.
2] SCHULZ, B. (1965) – Fleischfressende Pflanzen. Ziemsen Verlag.
3] www.pinguicula.org [02.02.2020, 20:11]
4] www.gluch.info/pingu3.htm [02.02.2020, 20:46]
5] CAROW, FÜRST (1998): Fleischfressende Pflanzen – Artenübersicht – Kultur – Vermehrung. Verlag Thomas Carow, 11. Auflage.
6] MEYERHOFER, E., C. PIRQUET (1926): Lexikon der Ernährungskunde. Springer Verlag, 5. Lieferung. S. 994.
7] KOENIG, J. (1904): Die menschlichen Nahrungs- und Genussmittel, ihre Herstellung, Zusammensetzung und Beschaffenheit, nebst einem Abriss über die Ernährungslehre. Verlag Julius Springer, 4. Auflage. S548, 638

 

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